Was ist DER SPIEGEL?


Linksliberales Magazin? Vorposten der Meinungsfreiheit? Atlantisches Instrument? Neoliberaler Agitator?

Von David X. Noack

Das Magazin DER SPIEGEL wurde 1947 unter Lizenz der britischen Militärverwaltung in Deutschland gegründet. Zwei Jahre später beschloss das Organ, dass „alle im Spiegel verarbeiteten und verzeichneten Nachrichten, Informationen, Tatsachen müssen unbedingt zutreffen. Jede Nachricht und jede Tatsache ist […] peinlichst genau nachzuprüfen.“

Schön wäre es. Der SPIEGEL ist jedoch kein wahrheitsliebendes Magazin, sondern ein Organ einer bestimmten Interessenclique – den nationalliberalen Atlantikern. Die Redaktion setzte sich anfangs vor allem aus ehemaligen Mitarbeitern des Reichssicherheitshauptamtes und anderen hochrangigen Nazis zusammen – es war ein„Sammelbecken“.[1] Viele ehemalige Nationalsozialisten hatten nach der Niederlage des faschistischen Deutschlands sich den amerikanisch-britischen Interessen unterworfen, um fortan mit den Westalliierten gegen„den Bolschewismus“ zu kämpfen. Die berühmtesten Beispiele sind Reinhard Gehlen – Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) des deutschen Generalstabs und später Gründer und Präsident des Bundesnachrichtendienstes – die unbekannteren Beispiele tummelten sich in der Redaktion von Rudolf Augstein, dem Gründer des SPIEGELS.

Wer war dieser Augstein? Der Historiker Hans-Peter Schwarz beschreibt den Gründer des Hamburger Magazins wie folgt: Augstein sei ein „nie ganz [erwachsener] Pennäler, Mixtur aus Klassenprimus und Lümmel […] kräftig verstärkt durch die Rotzigkeit des Soldaten“. Er ist ein „[Nationalist] pur sang, ressentimenterfüllt, überheblich, anti-französisch“ gewesen.[2] Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

1952 macht sich das dann zum ersten Mal bemerkbar: Es kommt zur so genannten Schmeißer-Affäre. Jener Hans-Konrad Schmeißer, ehemaliger Agent für den französischen Geheimdienst SDECE (Service de Documentation Extérieur et de Contre-Espionage), hatte im SPIEGEL behauptet, Bundeskanzler Adenauer, der Ministerialdirektor Blankenhorn und Generalkonsul Reifferscheid seien für den französischen Geheimdienst tätig. Das kam nicht von ungefähr – Adenauer und seine Getreuen hatten sich einem bedingungslosen pro-amerikanischen Kurs widersetzt und die Priorität eher auf eine Kooperation mit Frankreich gelegt. Die Vorwürfe stellten sich als haltlos heraus – doch der Anfang war getan. DER SPIEGEL hatte seine Propaganda für US-Interessen begonnen.

Vier Jahre später folgte ein weiteres Meisterstück der nationalliberal-atlantischen Propaganda. In der Berichterstattung des Spiegels über den Aufstand in Ungarn 1956 mischt sich die Aufforderung ein, dass die Ostdeutschen ihren Staatschef und seine Getreuen aufhängen sollen. Aus Budapest berichtete für das Hamburger Magazin ein gewisser Hans Germani, der zur selben Zeit auch für die Deutsche Nationalzeitung tätig ist. Germani berichtet nicht nur für den SPIEGEL aus der ungarischen Hauptstadt, sondern beteiligt sich auch an den Kämpfen in Budapest mit einer Maschinenpistole.[1]  Durch die Explosion eines Panzers wurde Germani schwer verletzt und deswegen daraufhin nach Wien evakuiert. Objektive Berichterstattung sieht anders aus.

Doch die politische Einflussnahme erreichte noch eine weitere Dimension: In der SPIEGEL-Affäre 1962 handelten CIA, BND, FDP und SPIEGEL gemeinsam, um den Gaullisten Franz-Josef Strauß abzusägen. Bis dahin waren sowohl CIA als auch der SPIEGEL fest davon ausgegangen, dass der Bayer Strauß der nächste Bundeskanzler werden würde. Da Strauß aber für eine Emanzipation Europas Hand in Hand mit de Gaulle gegen die USA stand, war er dem amerikanischen Auslandsgeheimdienst und dessen Verbündeten ein Dorn im Auge. So auch dem atlantisch ausgerichteten SPIEGEL. Die Operation gelang und Strauß trat als Verteidigungsminister zurück.[3] Beim SPIEGEL hatte man einen eigenen Mitarbeiter für die Observation von Franz-Josef Strauß eingestellt. Augstein hatte beschlossen, dass „dieser Mann [..] niemals Kanzler werden [darf]!“ [4] Als Strauß 1980 der Spitzenkandidat der Union war, trat der SPIEGEL erneut eine Kampagne los – eine Kanzlerschaft des Bayern wäre immer noch nicht in Washington nicht auf sehr viel Gegenliebe gestoßen.

Der Streit zwischen Gaullisten und Atlantikern erhielt in den 1980ern eine neue Dimension: Die wirtschaftspolitische Ebene. Die Atlantiker wendeten sich dem amerikanischen Neoliberalismus zu, während die Gaullisten und Post-Gaullisten den Rheinischen Kapitalismus modifizieren wollten.[5] So verwundert es nicht, dass regelmäßig politische Kampangenartikel gegen berühmte Gaullisten wie Oskar Lafontaine, Peter Gauweiler, Lothar Späth, Jürgen Todenhöfer, Willy Wimmer und Norbert Blüm vom SPIEGEL veröffentlicht werden. Auch ist es nicht besonders, dass Apologeten des Neoliberalismus – wie die Agenten der INSM – im SPIEGEL Artikel veröffentlichen, wie auch von Sebastian Müller auf diesem Blog dargelegt.[6]

Und so zieht sich der Faden der politischen Einmischung nach US-Interessen weiter durch die Geschichte des „Magazins“ DER SPIEGEL. Albrecht Müller – 1970 bis 1972 Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des SPD-Parteivorstandes – nennt den Werdegang des Spiegels ein Weg „[vom] Aufklärungsauftrag zum ideologischen Kampforgan“.[7] Die „Titel [des SPIEGELS] strotzen nur so von Übertreibung und Angstmache. Sie bauen auf dumpfen und reaktionären Vorurteilen auf und verstärken sie.“[7] Im politischen Kampf des SPIEGELS werden Fakten verdreht, Geschichten erfunden und Politiker verleumdet. Ein Redakteur des unabhängigen Nachrichtenportals amerika21.de berichtete Anfang vergangenen Jahres aus den Sphären des deutschen Journalismus:

„Vor einigen Jahren kam in meiner ehemaligen Redaktion mal eine Mode auf. Hatte ein Autor einen besonders polemischen Artikel geschrieben, der an Fakten arm oder gar faktenfrei war, dann hieß es: „Der hat ja mal wieder geSPONt“ – in Bezug auf das Akronym von Spiegel Online.“[8]

Regelmäßig berichten unabhängige Blogs, Webseiten und Tageszeitungen über die politische Meinungsmache des SPIEGELS. So beklagte die Tochter des kubanischen Staatschefs Raul Castro, Mariela Castro Espín, dass sie vom SPIEGEL „enttäuscht [sei], denn den Journalisten dort fehlt professionelle Ethik. Ich habe ihnen ein Interview gegeben, das ich mit meiner eigenen Kamera gefilmt habe, weil ich von der gegenüber Kuba feindlichen Einstellung dieser Zeitschrift wußte und sichergehen wollte, daß sie mein Interview nicht verändern. In der gedruckten Fassung hat die Redaktion Fragen eingefügt, die sie mir nie gestellt hat. Eine solche Frechheit und ein solches Fehlen von Professionalität habe ich noch nicht erlebt, nicht einmal bei Medien in den USA.“[9]

DER SPIEGEL ist kein seriöses journalistisches Magazin, sondern ein Instrument eines Teils des deutschen Großkapitals, der nationalliberal-atlantischen Fraktion. Umso tragischer ist es, dass der Journalismus so weit degeneriert ist, dass SPIEGEL ONLINE zum deutschen Leitmedium schlechthin geworden ist, so sollten bei einer Studie der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen (LfM) die Journalisten offen die fünf wichtigsten Internetangebote für ihre Arbeit angeben. An erster Stelle landete Google, dicht gefolgt von SPON mit 53,4 %. Journalisten im Deutschland Anfang des 21. Jahrhunderts suchen nicht mehr Quellen, Zeugen und Statements – sondern sie fragen den SPIEGEL.[10]

Umso wichtiger ist es, auf die vielen Seiten der Gegenöffentlichkeit hinzuweisen, wie die NachDenkSeiten oder amerika21.de. Zur Behandlung des Themas seien folgende Artikel auf den beiden genannten Seiten empfohlen:

Müller, Albrecht: 60 Jahre „Spiegel“: Vom Aufklärungsauftrag zum ideologischen Kampforgan, in: NachDenkSeiten, 04.01.2007.

Müller, Albrecht: Spiegel Online wird immer unerträglicher. Flach, flacher, flachester Kampagnenjournalismus, in: NachDenkSeiten, 03.08.2010.

Müller, Albrecht: Ergänzungen zu „Spiegel Online wird immer unerträglicher“, in: NachDenkSeiten, 03.08.2010.

Lieb, Wolfgang: Das angebliche Jobwunder, in: NachDenkSeiten, 13.07.2010.

Azzellini, Dario: Spiegel-Online mit Rechtspropaganda – Verdrehung und Irreführung im Konflikt zwischen Kolumbien und Venezuela, in: amerika21.de, 21.11.2009.

Kliver, Christian: Heute schon geSPONt?, amerika21.de, 01.02.2009.

Dilger, Gerhard: Spiegel Online contra Evo Morales – Die zweifelhaften Diagnosen des Jens Glüsing, in: amerika21.de, 15.09.2008.

Neuber, Harald: Kriegsjournaille, in: junge Welt, 27.05.2008. Abrufbar auf amerika.de.

Neuber, Harald: Informationsengpässe bei Spiegel Online – Ursache des Konfliktes um Lebensmittelengpässe liegt nicht primär in der Preiskontrolle, in: amerika21.de, 07.04.2008.

Neuber, Harald: „Spiegel“-Bilder Venezuelas – Was nicht passt wird passend gemacht, in: amerika21.de, 04.01.2008.

Niebel, Ingo: „Spiegel“ schießt auf die falschen Demonstranten, in: amerika21.de, 08.11.2007.

Niebel, Ingo: Mit der Chávez-Keule gegen Lafontaine – Wie SPIEGEL-Online einen Gastbeitrag des Vorsitzenden der Linken, Oskar Lafontaine, verzerrt wiedergibt, in: amerika21.de, 18.07.2007.

Quellen:

[1] Köhler, Otto: »Wann kommt Adenauer mit seiner Armee?«, in: junge Welt, 14.07.2006.

[2] Schwarz, Siegfried: Rezension zu H.-P. Schwarz: Anmerkungen zu Adenauer, in: hsozkult.geschichte.hu-berlin.de.

[3] Karl J. Brandstetter: Allianz des Mißtrauens: Sicherheitspolitik und deutsch-amerikanische Beziehung in der Nachkriegszeit, Köln 1989, S. 300-317. Hier erwerbbar.

[4] Bickerich, Wolfram: „Dieser Mann darf niemals Kanzler werden“, einestages.spiegel.de, 01.10.2008.

[5] van der Pijl, Kees: What Happened to the European Option for Eastern Europe?, in: Bieler, Andreas/Morton, Adam D.: Social Forces in the Making of New Europe – The Restructuring of European Social Relations in the Global Political Economy, Hampshire 2001. Hier erwerbbar.

[6] Müller, Sebastian: Neoliberale Faktenverdrehung , in: le bohémien, 02.09.2010.

[7] Leider vernachlässigt Müller die Dimension des Konfliktes zwischen Atlantikern und Gaullisten. Müller, Albrecht:60 Jahre „Spiegel“: Vom Aufklärungsauftrag zum ideologischen Kampforgan, in: NachDenkSeiten, 04.01.2007.

[8] Kliver, Christian: Heute schon geSPONt?, amerika21.de, 01.02.2009.

[9] Scheer, André: »Sozialismus ist kein Kunstwerk«, in: junge Welt, 07.08.2010.

[10] Journalistische Recherche im Internet – Bestandsaufnahme journalistischer Arbeitsweisen in Zeitungen, Hörfunk, Fernsehen und Online, Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen (LfM), Berlin 2008.

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